Organisiert vom Institut für Sozialästhetik und psychische Gesundheit der Sigmund-FreudPrivatuniversität Wien (SFU), und dem Collaborating Centre for Values-Based Practice, St. Catherine’s College, University of Oxford.
Wenn man die öffentliche Diskussion um das Fremdenproblem in Europa und unserem Land vereinfacht zusammenfassen wollte, könnte man es auf die Frage nach „Kaffee und Gugelhupf“ oder „Mauern und Stacheldraht“ kondensieren. Erstes steht für eine uneingeschränkte Willkommenskultur ohne Wenn und Aber, zweites für eine nachhaltige Abwehr von allem Fremden. Beide Haltungen dem Fremden gegenüber sind nicht nur unrealistisch sondern auch unmenschlich.
Unrealistisch sind sie deshalb, weil eine uneingeschränkte Gastfreundschaft, wie noch von den antiken Griechen in der Theorie gefordert nicht in die tägliche Praxis umsetzbar ist, schon gar nicht bei dem Ansturm von Fremden, der Europa heute überrollt. Der französische postmoderne Philosoph J. Derrida schrieb dazu bereits 1997 also noch lange vor den in Europa einsetzenden Flüchtlingswellen, „Es ist, als würden die Gesetze der Gastfreundschaft, indem sie Grenzen, Befugnisse, Rechte und Pflichten (für den Gastgeber und auch für den Gäste) markieren, darin bestehen, das Gesetz der Gastfreundschaft ... zu übertreten, jenes (von den antiken Griechen eingeklagte) Gesetz, das fordert, dem Ankömmling, bedingungslose Aufnahme zu gewähren.“
Jede Gastfreundschaft ist durch das jeweilige vom Gastgeber bzw. von gastgebenden Gemeinschaften aufgestellte Gastrecht begrenzt. Diese Begrenzungen sind zeitlicher, örtlicher und situativer Natur. Dabei ist zu regeln wie lange jemand Gastrecht in Anspruch nehmen kann, an welchem Ort es umgesetzt werden soll und zuletzt sind auch noch die Modalitäten gastfreundlicher Aufnahme (wie z.B. Verköstigung, Betreuung und Versorgung bzw. ZurVerfügung-stellen von finanziellen, materiellen bzw. ideellen Mitteln, etc.) zu bestimmen. Man kann Gäste auch immer nur in beschränkter Anzahl gastfreundlich aufnehmen. Wo die Grenze zu ziehen ist, das obliegt allerdings unserer Entscheidung. In welche gastfreundliche Großzügigkeit wir uns wagen wollen bzw. in welche fremdenfeindlichen Kleinlichkeiten wir uns verstricken lassen wollen, das entscheiden wir selbst.
Je nach festgelegter Zahl der Aufzunehmenden, der Zeitspanne und Ausstattung der Örtlichkeit sowie der einzelnen Modalitäten der gewährten Gastfreundschaft werden wir das eine mal als eher gastfreundlich und das andere Mal als eher gastfeindlich eingestuft werden. Wie viel Gastfreundschaft sich jemand zutraut bzw. wie sehr sich jemand in die Fremdenfeindlichkeit flüchten muss hängt nicht so sehr vom Fremden selbst ab, sondern vom Selbstwert des Gastgebers. In seiner Arbeit zum Thema Ich-Konstitution und Fremdheitserfahrungen schreibt der Soziologe Otto Negt (2011): „Der Fremdenhass hat nur bedingt etwas mit den Fremden zu tun: Existenzängste, zerbrochene Lebensperspektiven besonders junger Menschen, Verlust der gesellschaftlichen Achtung und der materiellen Mindestausstattung, durch Arbeitslosigkeit zwangsläufig verursacht, abrutschen in die Armut – das sind wichtige Bestandteile eines gesellschaftlichen Bodens auf dem rechtextreme Einstellungen mit ihren Feinderklärungen und Vernichtungsfantasien gegen das Fremde … wachsen und gedeihen.“
Eine uneingeschränkte, völlig grenzenlose Abwehr von allem auf uns zukommenden Fremden ist insofern unrealistisch, als damit jede Chance auf die eigene Weiterentwicklung verspielt wäre. Wir brauchen das Fremde, das Uns-Noch-Fremde, um neue Impulse zur eigenen Weiterentwicklung zu bekommen. Das war auch schon den frühen Kulturen bewusst und sie entwickelten daher Formen und Riten wie man mit dem Fremden, der anfangs meist noch als ein Feindlicher bzw. Feindseliger erlebt wird, Kontakt aufnehmen und in weiterer Folge auch halten kann. Ohne den befruchtenden Einfluss des an uns herangetragenen Noch-Fremden, Noch-Unbekannten käme unsere Evolution rasch zum Erliegen. Unter diesem Gesichtspunkt wird der Xenophobe, der an Fremdenfeindlichkeit Leidende zum Evolutionsverweigerer.
Ein völlig uneingeschränktes und ungesteuertes Willkommensheißen ist nicht nur unrealistisch sondern auch unmenschlich. Es gaukelt dem Fremden Möglichkeiten des Aufgenommen-werdens, des Bleiben-könnens und auch des Versorgt-werdens vor, das in der Folge dann aber in keiner Weise realiter auch geboten werden kann. Damit werden Erwartungen gesetzt die enttäuscht werden. Da Menschen im akuten Enttäuschungsfall nur aggressiv oder depressiv reagieren können (erst in einem zweiten Schritt kann es dann gelingen durch entsprechende kognitive Bemühungen, mit diesen Enttäuschungen zielführend umgehen zu lernen), wird der Einzelne durch ein solcherart Vorspiegeln falscher Tatsachen in Aggression bzw. Depression getrieben, die ihm dann sogar noch als Verhaltensauffälligkeit nachgesagt wird.
Aber auch das Gegenteil davon, nämlich ein ungebremstes Zurückweisen des Gastfreundschaft benötigenden Fremden ist unmenschlich. Als prinzipiell zur Kommunikation fähige Wesen sind wir von Beginn unserer Existenz an auf ein gedeihliches Zusammenleben mit Anderen und auf Hilfestellungen durch Andere in Notsituationen angewiesen. Am Beginn unseres Daseins, als Neugeborene und Kleinkinder sind wir nahezu ausschließlich von der Hilfe anderer abhängig, mit zunehmendem Alter schaffen wir es immer mehr auch da und dort ohne Hilfestellung auszukommen. Unabhängig im Sinne dessen, dass wir überhaupt keine Hilfen welcher Art auch immer von Anderen brauchen, werden wir aber nie. Als von Grund auf soziale Wesen sind wir also – um ein Wort Sartres zur Freiheit des Menschen abzuwandeln – zur Gastfreundschaft verdammt. Wir entkommen ihr nie; wenn wir versuchen, ihr zu entkommen, schaffen wir damit nur eine immer mehr entmenschte Welt.
Gastfreundschaft ist demnach nicht nur ein sich von Menschen ausgedachtes theoriegeladenes Konzept oder eine von ihnen erfundene Möglichkeit der Lebensgestaltung die man wählen oder ablehnen kann. Gastfreundschaft ist ein unmittelbar erfahrbares und erlebbares Phänomen ohne das menschliche Existenz erst gar nicht möglich ist.
Gastfreundschaft spielt nicht nur in der Migrations- bzw. Flüchtlingsthematik eine wesentliche Rolle. Sie ist auch ein zentrales Thema in der Begegnung zwischen Patient und Arzt bzw. Therapeut. Den noch fremden Patient als Gast zu sehen und anzuerkennen, ihn auch als solchen zu erleben, erlaubt erst ein für die Therapie unverzichtbares Verstehen des Anderen. Von ganz besonderer Bedeutung ist Gastlichkeit und Gastfreundschaft im Bereich der stationären Krankenbehandlung.
Spitäler waren im Mittelalter noch vorzugsweise allgemeine Stätten der Gastlichkeit für Menschen, die ein Dach über dem Kopf brauchten. Es waren Armenhäuser für Mittellose bzw. Herbergen für erschöpfte Pilger, also Stätten, in die Menschen in Not aufgenommen und wenn nötig auch (gesund)gepflegt wurden. Im Englischen ist das auch noch sprachlich nachzuvollziehen: Hospital, hospice, hostel und hotel haben den gleichen Ursprung. Letztere sind aus den Ersteren hervorgegangen und stammen vom lateinischen hostis bzw. hospes ab – den Wörtern der Römer für den Ankmömling, den Fremden, den Fremdländern. Von hospes leitet sich auch hospitium ab, das im Englischen dann zu hospitality wurde und das besondere Verhältnis von Gast und Gastgeber, von Schutzsuchendem und Schutzgebendem bezeichnet. Hostility, die Feindschaft und Feindlichkeit, bildet den Gegenpol zur gastfreundlichen Beziehung zwischen Gastgeber und Gast.
In diesem Zusammenhang stehen auch die von Jacques Derrida (2001) hervorgehobenen engen begrifflichen Verbindungen und mannigfachen Übergänge von Gastfreundschaft (hospitalité), Feindschaft (hostilité) und Gastfeindschaft (hostipitalité): Der Fremde wird immer entweder als Gast (hospes) oder als Feind (hostis) empfangen; meist sogar als beides, allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Neben diesen qualitativquantitativen Übergängen (der eine Fremde ist einmal mehr Gast und weniger Feind, der andere Fremde mehr Feind und weniger Gast) finden sich auch noch Möglichkeiten der zeitlichen Übergänge: Der bedrohliche Fremde kann mit Hilfe der Gastfreundschaft zum Vertrauten, zum Gast werden, der primär freundlich empfangene Gast aufgrund fehlender bzw. zurückgewiesener Gastfreundschaft zum Feind. Diese Doppelfigur des Gast-Feindes, des Feind-Gastes konstituiert den Diskurs der Gastfreundschaft.
Es stellt sich damit die Frage: Wie gehe ich mit dem Fremden um? Wie nähere ich mich dem Fremden? Wie gehe ich um mit dem Fremden als Menschen, wie gehe ich mit dem Fremden als Eigenschaft um? Wie gehen wir im Allgemeinen und wie in speziellen Situationen mit dem Nicht-Familiären um? Wie begegnen wir dem Ankömmling? Wie nehmen wir den Anderen auf, wie laden wir wen ein, wie gewähren wir wem Gastrecht, wie nehmen wir wen auf, wie weisen wir wen zurück? Mit anderen Worten: Es stellen sich hier nicht nur Fragen nach Wesen und Ethik der Gastfreundschaft wie sie in den Diskursen von Jacques Derrida und Emanuel Lévinas zu finden sind, sondern vor allem auch Fragen nach der Ästhetik des Umgangs mit dem Anderen im Allgemeinen und im Besonderen des medizinischen Kontextes.
Welche Rolle dabei der Sozialästhetik als neuer Wissensdisziplin zukommt und was die Sozialästhetik, die sich unter anderem mit den ethisch-ästhetischen Aspekten von zwischenmenschlichen Beziehungen beschäftigt, alles ist und leistet wird ebenso Gegenstand der Tagung sein, wie die Frage wie psychische Gesundheit und Phänomene der Gastlichkeit miteinander korrelieren. In der Medizin trifft man überall auf das Andere, das Fremde. Überall lauert Beeinträchtigendes, Bedrohliches, ja sogar Feindliches. Dementsprechend oft ist man in der Medizin mit der Gastfreundschaftsproblematik konfrontiert. Sie ist immanenter Bestandteil medizinischen Handelns – selbst dort, wo sie nicht wahrgenommen oder negiert wird. Gastfreundschaft als naturgegeben lebensbestimmendes Moment menschlichen Zusammenseins mit dem Anderen und Medizin als Inbegriff mitmenschlicher Hilfestellung in Zuständen größter Hilflosigkeit und höchsten Ausgeliefertseins sind in komplexen Wechselspielen untrennbar miteinander verbunden.
Gastfreundschaft ist daher nicht nur Luxus, den man sich dann gönnt, wenn alles medizinisch Notwendige bereits geschafft ist; sie ist vielmehr integraler und integrativer Bestandteil jedweder medizinischer Aktion. Als Gastfreundschaft mit der gegenüberstehenden kranken Person, aber auch darüber hinaus ganz wesentlich als Gastfreundschaft mit dem Anderen im Anderen ist sie der öffnende Schlüssel im Zugang zum Fremden im Kranken. Es stellt sich daher auch nicht die Frage, ob nun Gastfreundschaft in der Medizin Platz hat bzw. haben sollte, sondern ausschließlich, wie sie gelebt wird, wie sie in das medizinische Handlungsgeflecht introduziert wird. Mit anderen Worten: Es stellt sich nur die Frage, ob und wie sie gelingt bzw. ob und auf welche Weise sie scheitert. Gelungene sowie auch gescheiterte Gastfreundschaft betrifft uns alle: als Therapeuten, Pfleger, Patienten, Klienten, Angehörige oder aber ganz einfach als Menschen, die an der Krankheit des Mitmenschen nicht vorbeisehen und vorbeigehen können und wollen. Der Gastfreundschaft zu entsagen, sie jemanden zu verwehren, sie nicht in Anspruch nehmen führt nicht nur ins Leiden, sondern kann den Betroffenen sogar in seinem bisherigen In-der-Welt-Sein bedrohen. Das ‚Wie‘ der Gastfreundschaft in der Medizin wird damit über den ästhetischen Aspekt hinaus zur existentiellen Frage.
Das Institut für Sozialästhetik und psychische Gesundheit der Sigmund-FreudPrivatuniversität Wien veranstaltet gemeinsam mit dem St. Catherine’s College der Universität Oxford am Freitag dem 19. und 20. Mai 2017, an der Sigmund-FreudPrivatuniversität Wien (Freudplatz 1, 1020), eine international hochkarätig besetzte Tagung zum Thema Gastlichkeit (Hospitalilty) und psychische Gesundheit.
Die Tagung Hospitality and Mental Health in der international ausgewiesene Experten aus New York, Beijing, London, Oxford, Cambridge, Ljubljana, Lugano, Lausanne und Wien das Thema der Gastlichkeit und psychischen Gesundheit ausloten und die neuesten Forschungen dazu präsentieren, thematisiert das Phänomen interdisziplinär durch Beiträge von Philosophen, Psychiatern, Psychologen, Psychotherapeuten, Allgemeinmedizinern, Medizinethikern, Pflegewissenschaftlern, Schriftstellern, Film- und Literaturwissenschaftlern.
verfasst von Michael Musalek und Martin Poltrum
Vorsitz: Michael Musalek, Martin Poltrum – Sigmund-Freud-University Vienna
Helena Fox, Collaborating Centre for Values-Based Practice, St. Catherine’s College, University of Oxford
Datum der Veranstaltung: 19. - 20. Mai 2017
Ort der Veranstaltung: Festsaal, Sigmund Freud Privat Universität (SFU) 1020 Wien, Freudplatz 1
Fotos bereitgestellt von: Sonja Bachmayer
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